Sie sind in München aufgewachsen. Was hat Ihre Kindheit in der Stadt ganz besonders geprägt?
Die Isar! Ich wuchs im Lehel auf und mein ganzes Universum bestand aus der Lukaskirche, der Praterinsel und dem vorbeifließenden Fluss, in dem ich als Vierjähriger schwimmen lernte. Meine heutige Philosophie wäre anders, wenn ich die Isar nicht gehabt hätte. Sie ist das Symbol für mein Leben.
Sie beschreiben, dass einige Begegnungen mit dem Tod bei Ihnen entscheidende Einsichten und Brüche bewirkten. Was ist passiert?
Der Tod meiner Mutter vor neun Jahren änderte sehr drastisch meine Weltsicht. Er machte mir die Vergänglichkeit bewusst, und dass man an nichts festhalten soll. Das muss man aber erst lernen! Nach dem Tod beider Eltern wurde mir klar, dass einen niemand mehr so bedingungslos lieben wird wie sie. Mein Vater ist für mich auch das schönste Lehrbeispiel für die Kunst des Scheiterns. Er war eigentlich Tenor, übte seinen Beruf aber nicht aus, sondern wurde Philosoph. Durch ihn und auch durch die „kleinen Tode" meiner Drogen- und Gefängniserfahrungen lernte ich, mich auf mich selbst zu besinnen. Nie wieder empfand ich mich so befreit von den Zwängen unserer Gesellschaft, wie in meiner Zeit im Gefängnis. Ich versuche bei meinen Lesungen, auch in Gefängnissen, zu vermitteln, dass Freiheit nicht ortsgebunden, sondern vor allem im eigenen Innern zu finden ist.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass mit dem Älterwerden die Arbeit beginnt, das Paradies der Kindheit wiederzufinden. Was meinen Sie damit?
Ich sang als Kind mit meinem Vater zusammen Duette aus italienischen Opern und fühlte mich dabei sehr aufgehoben. Rückschauend würde ich es als spirituelles Einssein beschreiben. Unbefangenheit und das Gefühl der Unsterblichkeit sind das Paradies der Kindheit. Bei meinen eigenen Kindern habe ich gesehen, dass sie den Tod als nichts Erschreckendes empfinden und sehr gelassen damit umgehen. Erst später wird einem die eigene Vergänglichkeit bewusst. Wenn dann mit dem Älterwerden schließlich diverse Probleme dazu kommen, kann eine Qualität entstehen, die ich in einem Gedicht beschrieben habe: „Jeder Augenblick ist ewig, wenn du ihn zu nehmen weißt."
Wie sehen Sie sich denn selbst als älteren Menschen?
Ich möchte lieber ein alter Narr sein als ein aufgeblasener, rechthaberischer alter Mann. Selbstreflexion und Eigenverantwortlichkeit sind mir enorm wichtig. Der Narr erlebt vieles im Sinne von Goethes „Es gibt keine Schandtat, die ich nicht auch hätte begehen können". Das bedeutet zu erkennen, dass alles, was man in der Jugend bei anderen verurteilte, auch in einem selbst wohnt. Einen Narren macht auch aus, dass er nicht verbissen an Weltbildern hängt, sondern eine weitere Sicht des Ganzen hat.
Sie haben sich dazu geäußert, dass eine Kunst des Sterbens entwickelt werden müsste...
Ja, die haben wir nicht, da der Tod nicht wirtschaftlich verwertbar ist. Der Kapitalismus braucht Kranke, weil man diesen viel verkaufen kann, aber nicht Sterbende. Es geht nicht an, dass es in München nur ein paar Hundert Hospizplätze für eine Million Menschen gibt. Doch der Umgang mit dem Thema ist nicht einfach: Zehn Jahre vor dem Tod meiner Mama, die in einem Hospiz starb, lud mich ein Hospizmitarbeiter ein. Meine erste Reaktion war damals Ablehnung. Dieser Mensch war aber Gott sei Dank sehr hartnäckig und es wurde ein großartiges Erlebnis. Vor kurzem sprach mich eine Hospizmitarbeiterin auf einer Tournee an: Eine Frau, die sie betreute, hatte eine Karte für mein Konzert, konnte aber nicht mehr kommen. Ich bin vor dem Konzert zu ihr ins Hospiz, nahm sie in den Arm und sang ihr etwas vor. Sie schlief am Tag darauf friedlich ein. Das ist ein Erlebnis, das einen sehr erdet und dabei hilft, in dem Konzertbetrieb nicht abzuheben.
Sie waren schon immer politisch engagiert. Wie stehen Sie heute dazu?
Politisches Engagement sollte mit einer neuen Spiritualität gekoppelt sein und zu einem humanistischen Engagement werden. Politik sollte nicht der Profitgier dienen. Sie sollte Dinge befördern, die zu kurz kommen, weil sie als unnütz angesehen werden, wie z.B. die Kunst. Es ist heute schwer, Ideale hochzuhalten, wenn du in einer Partei aufsteigen willst. Als Künstler kann ich Anstöße geben. Mir geht es um das Zusammenbringen von Tun und Infragestellen. Vielleicht ist es sinnvoll, mit kleinen, sich vernetzenden Gruppen eine Revolution zu bewirken – als Pazifist meine ich damit eine Revolution des Bewusstseins. Ich vertraue Dichtern mehr als Ideologien und politischen Vorstellungen. Es gibt keine perfekten Weltbilder und Vorstellungen, die anderen übergestülpt werden müssen. Dichtung ist niemals eindeutig und verändert sich mit dem Leser. Das ist wie in der Mystik, die Gott nicht auf Gesetzestafeln, sondern in sich selbst sucht.