Darüber reden und verarbeiten
Als er mit seiner Familie versuchte vom Ostsudentenland in Richtung Westen zu fliehen, war Hans Quitt acht Jahre alt. Tiefflieger, brennende Pferde, exekutierte Soldaten, Felder voller Toter und Menschen, die sich die Pulsadern aufschnitten - die traumatischen Bilder dieser Wochen haben sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Ebenso der Aufenthalt in einem kleinen Dorf in den Karpaten, in das er mit seiner Mutter anschließend verschleppt wurde: „Wir wurden fast wie Sklaven gehalten, zusammen mit Hühnern in einem kleinen Raum mit einem Bett, fast ohne Essen und mit viel Prügel", erinnert sich der 78-Jährige. 1946, im Zuge der Aussiedlung der Deutschen, kamen sie dann nach Bruchsal. „Meine Mutter konnte mir damals nicht helfen, sie war selbst verzweifelt, sodass ich sie mit den Worten ,Was weinst du denn? Hier ist es doch schön' zu trösten versuchte." Auch sein Vater konnte ihm keinen Halt geben. Schon früh hatte er als Bahnstreckenarbeiter mitbekommen, dass Juden nach Auschwitz transportiert wurden und versucht, über den BBC-Sender mehr zu erfahren. „Dafür wäre er fast ins Gefängnis gekommen, wenn nicht mein elf Jahre älterer Bruder bei der Hitlerjugend gewesen wäre. Mit sechzehn wollte er das Vaterland retten, aber nach dem Krieg war er davon geheilt!" Der Vater kam nach Krieg und Gefangenenlager gebrochen zurück und erholte sich nicht wieder. „Es wurde nie darüber geredet. Nur meine Mutter erzählte immer wieder amüsiert, wie ich sie zu trösten versuchte." Hans Quitt verfolgten die Erlebnisse noch lange in Alpträumen und Angstattacken. Auch oft überzogene Wutattacken gegenüber Ungerechtigkeiten entwickelte er damals. „Irgendwann hörte es dann auf, dass mir die Erhängten im Traum erschienen." Die Schulzeit in den 1950er Jahren, in der er sich voll ins Lernen stürzte, blieb ihm als sehr schöne Zeit in Erinnerung. Sein Bruder war schon früh zu einer Art Ersatzvater geworden, mit dem er über das Erlebte reden konnte. Später arbeitete er auch vieles in einer Therapie auf. „Da erfuhr ich, dass ich wohl über das verfüge, was man heute Resilienz nennt. Es hat mich befähigt, das Erlebte zu bewältigen." Geblieben ist ein starkes Durchsetzungsvermögen. „Das habe ich in den schweren Zeiten eingeübt, wenn ich meine Mutter dem karpatischen Bauern gegenüber voller Zorn verteidigte. Im Jahr 1989 besuchte ich das Dorf noch einmal, der Bauer war inzwischen dement. Ich musste einfach nochmals hin, um das Erlebte endlich für mich abschließen zu können."
Klarheit schaffen und abschließen
Erika Schwarz hat an die Flucht aus Rumänien kurz vor Ende des Krieges keine bewusste Erinnerung. Sie war nur drei Jahre alt, als ihre Mutter mit ihr und der ein Jahr jüngeren Schwester Hals über Kopf das Dorf verließ, in dem sie untergekommen waren. „Es war in der Familie ein Tabuthema, es wurde nur sehr oberflächlich über das geredet, was in der damaligen Zeit alles passiert ist", erinnert sich die 73-Jährige. „Aber ich hatte immer das Gefühl, etwas Gefährliches mitzuschleppen, das geschützt werden muss." Erst im Ruhestand wurde ihr klar, wie traumatisch das Erlebte für sie, ihre Schwester und die Mutter gewesen sein musste, als in einem Kurs für kreativen Ausdruck in ihren Bildern düstere Fluchtmotive auftauchten: „Meine Mutter hat wohl versucht uns Kinder zu beruhigen und sang und spielte mit uns. Doch wir müssen ihre Panik und innere Erstarrung gespürt haben, obwohl sie versuchte, Normalität vorzuspielen." Im Nachhinein versteht sie nun auch, warum sie möglicherweise in Depressionen versank, als ihre eigenen Kinder geboren wurden: „Das muss meine Fluchterinnerungen an die Mutter mit den kleinen schutzlosen Kindern aktiviert haben." Erst nach dem Tod ihrer Eltern wurde ihr klar, dass sie sich nie getraut hatte, sie nach der Vergangenheit zu fragen. Sie begann sich intensiv mit den damaligen politischen Verhältnissen in Rumänien auseinanderzusetzen und der eigenen Familiengeschichte. Dazu gehört der Konflikt zwischen dem Großvater, der Pfarrer war und der nationalsozialistischen Ideologie gegenüber äußerst kritisch, und ihrem Vater, den sie als einen Mitläufer bezeichnet. „Ich möchte meine Vorfahren verstehen und frage mich auch, wie ich mich selbst in so einer Zeit verhalten hätte", erklärt Erika Schwarz ihre Motivation. Seit sie Enkel hat, ist ihr noch etwas sehr wichtig geworden: „Ich möchte die Kette der unbewussten Weitergabe von nicht bewältigten Erlebnissen durchbrechen. Und ich möchte den Rucksack, den ich durchs das Leben getragen habe, auspacken und schauen, was auch Positives darin ist, wie meine Fähigkeit durchzuhalten und mich von allem Unbrauchbaren zu trennen."