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Ein Leben zwischen Roboter und Demenzdorf?

22. Juni 2021

Innovative Technologien in der Pflege und Betreuung müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Worauf es bei der Planung für die Zukunft ankommt, erzählt Susanne Krempl, Fachreferentin für die Strategie der Pflege bei der MÜNCHENSTIFT.

Wie kann Pflege geplant und weiterentwickelt werden, wenn künftig eine große und neue Generation Pflegebedürftiger versorgt werden muss und genügend Pflegekräfte diese Aufgabe übernehmen sollen? Welche architektonischen Neuerungen und technischen Innovationen wie Robotik eignen sich? Was gilt es darüber hinaus neu zu bedenken? Welche Einstellung und welcher gesellschaftliche Konsens sind nötig?

Den Kompass für architektonische und technische Neuerungen bilden die Lebens- und Arbeitsqualität von Pflegebedürftigen und Fachkräften, verankert im Pflegeleitbild der MÜNCHENSTIFT.

Planung für die Zukunft

„Sich zu überlegen, ob unsere Bewohnerinnen und Bewohner in Zukunft von Waschautomaten geduscht werden oder ihr Essen von einem Serviceroboter serviert bekommen, ist völlig irreführend", erzählt Susanne Krempl von der Stabsstelle Strategie Pflege und Betreuung der MÜNCHENSTIFT. „Es geht vielmehr um die Frage, wie wir in Zukunft eine hohe Lebens- und Arbeitsqualität garantieren können. Ein ethischer und gesellschaftlicher Konsens ist dabei die Grundvoraussetzung, aber auch soziologische und demografische Entwicklungen sind zu berücksichtigen", so Susanne Krempl. „Wir müssen mit einer Zunahme von Hochaltrigkeit und Demenz rechnen, gleichzeitig werden weniger Kinder ihre Angehörige innerhalb der Familien pflegen können. Auf diese Entwicklungen wie auch auf ein größeres Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Teilhabe, nach Privatheit und Individualität müssen zukünftige Pflege- und Betreuungskonzepte eingehen."

Souveränität und Selbstbestimmung

Mehrere Ziele stehen für die MÜNCHENSTIFT bei der Entwicklung innovativer Konzepte im Vordergrund: Oberste Priorität hat die Lebensqualität der Menschen in den Häusern, die trotz körperlicher und kognitiver Einschränkungen größtmöglich selbstbestimmt und autonom bleiben müssen. Ebenso wichtig ist eine Arbeitsplatzqualität mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitenden, die eine Verbundenheit mit dem Unternehmen und seinen Pflegeleitbildern entwickeln, so Susanne Krempl: „Um dies alles auch nur annähernd erreichen zu können, sind neben ausreichend Fachkräften architektonische Veränderungen und technisch innovative Lösungen erforderlich, die in unserer Wertekultur verankert sind und eine zugewandte Pflege in den Mittelpunkt stellen."

Orientierung am Wertekanon

An den geplanten Neuerungen wird erkennbar, welchen Einstellungswandel innovative Technologien in der Pflege voraussetzen. So soll im Ersatzbau des Hans-Sieber-Hauses eine Sensortechnik zum Einsatz kommen, die demenziell Erkrankten mehr Mobilität eröffnet und sie gleichzeitig beschützt. Sobald sich ein desorientierter Mensch aus seinem Wohnbereich entfernt, wird eine Pflegekraft über Smartphone darüber unterrichtet und der Mensch geortet. „Überwachungstechnologien sind gesellschaftlich umstritten, können aber zu mehr Lebensqualität führen, vorausgesetzt dahinter steht ein strikt wertegeleiteter Konsens", so Susanne Krempl. „Die in unserem Pflegeleitbild verankerte Einstellung einer zugewandten Pflege zeigt sich daran, dass Technik hier allein helfend eingesetzt wird, eine Fachkraft den desorientierten Menschen persönlich überzeugt und in sein sicheres Umfeld zurückführt."

Entlastung und Gewinnung von Fachkräften

Auch die Pflegekräfte sollen durch innovative Technologien bei der Verwaltung und Gesundheitsvorsorge unterstützt werden. So ist derzeit etwa ein mobiles Dokumentationssystem im Testlauf. Mithilfe von Tablets kann die Pflege direkt vor Ort dokumentiert und dabei viele Wege und Zwischenarbeiten gespart werden. Auch durch bebilderte Speisepläne und durchgehende elektronische Wegeleitsysteme entfallen viele Arbeitsschritte, die mehr Zeit für zugewandte Pflege schaffen. Gleichermaßen wird bei der baulichen Struktur und Ausstattung von Neubauten die körperliche und psychische Gesundheit und Zufriedenheit des Personals mitbedacht, da wir auch in Zukunft unseren Pflege- und Betreuungskräften ein qualitätvolles und anspruchsvolles Arbeitsumfeld bieten wollen. Neuerungen, die körperliche Arbeitsbelastungen mindern sowie ausreichend Bewegungsflächen für technische Hilfsmittel bieten, gehören ebenso dazu wie lärmreduzierende Lösungen und Räume zur Stärkung und Erholung. „Anfangs werden Investitionen und Schulungen nötig sein", so Susanne Krempl. „Doch langfristig wird dies vor allem bei den jungen Fachkräften zu mehr Arbeitszufriedenheit führen – entscheidend für die Gewinnung und Haltung von Mitarbeitenden in der Branche."

Austausch im nachbarschaftlichen Umfeld steht bei der Planung von Neubauten im Mittelpunkt. Bewohnerinnen und Bewohner, Angehörige und Gäste sollen z. B. im geselligen Gastronomiebereich abends italienisch essen, die Wohnbereiche Geburtstage feiern und die Mitarbeitenden sich nach dem Dienst auf ein Glas Prosecco treffen können.

Text: MÜNCHENSTIFT Magazin, Heft Nr. 92 - Juni 2020
Fotos: MÜNCHENSTIFT