• Panorama

Klein, aber fein

21. Mai 2024

Von den kleinen Pflegegruppen bei der MÜNCHENSTIFT mit familiärer Atmosphäre profitieren die Bewohner:innen und Pflegefachkräfte, wie ein Team mit hoher fachlicher Kompetenz und Eigenverantwortung aus dem Haus an der Effnerstraße zeigt.

"Es war so schön, als Frau Oswald mir an meinem Geburtstag einen Kuss und ein kleines Geschenk gab. Sie hatte diesen Tag in ihrem Kalender eingetragen. Und jedes Mal, wenn ich zum Beispiel aus dem Urlaub zurückkomme, strahlt sie und ruft: 'Nevena ist wieder da'", erzählt Nevena Aleksic, die als Primary Nurse die kleine Wohngruppe leitet, in der die 75-Jährige lebt. "Diese Freude beobachten wir auch bei unseren anderen Bewohner:innen, bei den demenziell erkrankten Menschen, an den Blicken und dem Lächeln." Überhaupt sei es so schön, dass die Teamkolleg:innen und die Bewohner:innen ein so enges, familiäres Verhältnis haben.

Frau Oswald und Silvana Jonuzi

Die Menschen im Mittelpunkt

Diese enge Beziehung ermöglicht das Primary Nursing, das bei der MÜNCHENSTIFT seit 2019 in jedem Alten- und Pflegeheim eingeführt wird, im Haus an der Effnerstraße 2022. Es fördert mit kleinen Pflege- und Betreuungsteams eine familiäre Atmosphäre, in der sich alle täglich sehen, austauschen und gut kennen. Einer verantwortlichen Primary Nurse sind zwei Associate Nurses und drei Assistant Nurses zugeordnet. Zusätzlich wird sie von einer Wohnbereichsleiterin von organisatorischen Aufgaben entlastet, sodass sie sich ganz ihren Bewohner:innen, Mitarbeitenden und Auszubildenden widmen kann. Jedes Teammitglied übernimmt eigene Aufgaben, die Verantwortung wird jedoch gemeinsam getragen. Jeden Freitag kommen alle zur Teambesprechung zusammen, bringen ihre Beobachtungen ein und besprechen, was für die einzelnen Bewohner:innen verbessert werden kann. "Ich war vor der Einführung von Primary Nursing 2022 skeptisch, weil ich befürchtete, den Überblick über den Wohnbereich zu verlieren. Aber die Praxis hat gezeigt, dass die Pflege und Kommunikation in der kleinen Gruppe jetzt viel besser funktioniert. Durch Schulungen und meine Anleitung hat das Team gelernt, sich selbst zu organisieren und eigenverantwortlich zu handeln. Es ist immer jemand da, der die Kolleg:innen vertreten kann. Das gibt den Mitarbeiter:innen mehr Sicherheit.

Nevena Aleksic kennt viele von Gertraud Oswalds liebgewonnenen Gewohnheiten: "Sie trägt ihre Haare am liebsten mit Pony und Zopf, trinkt ihren Kaffee immer ohne Milch und der Apfel muss gewaschen und ganz sein".

Persönliche Wünsche erfüllen

"Das spüren auch unsere Bewohner:innen, sie sind viel ruhiger und entspannter, denn sie haben immer die gleichen fünf Ansprechpersonen. So lernen wir sie besser kennen, können Veränderungen besser einschätzen und bei Bedarf sofort handeln. Wenn zum Beispiel jemand an Gewicht verliert oder eine Demenz weiterentwickelt, überlegen wir, was wir tun können, beziehen die Betreuungsassistent:innen oder bei Bedarf auch eine Fachärztin mit ein". Dabei geht es auch um Gewohnheiten und vertraute Kleinigkeiten im Alltag. "Da ich jeden Tag da bin, weiß ich, wie ich zum Wohlbefinden beitragen kann, weil ich viele persönliche Wünsche kenne. Wir sind die Familie der Menschen, die uns anvertraut sind. Ich tue alles, was ich auch für meine eigenen Eltern tun würde. Das betrifft die Körperpflege und die Essgewohnheiten, aber auch andere Vorlieben. So haben meine Pflegehelfer:innen Haarwickler gekauft, viele der Frauen freuen sich sehr, wenn sie sich damit die Haare machen lassen".

"Frau Oswald erzählt gerne Geschichten aus ihrem Leben, lacht viel und geht gerne spazieren - aber auch mal einen Kaffee trinken. Jetzt ist sie oft mit einer Mitbewohnerin unterwegs und kümmert sich um sie", erklärt Silvana Jonuzi.

Mehr Kommunikation mit Angehörigen

Gertraud Oswald kam im Mai 2023 zu Nevena Aleksic in die Wohngruppe. Sie hatte vorher allein gewohnt, ein Oberschenkelhalsbruch machte den Umzug erforderlich. "Am Anfang war Frau Oswald sehr wackelig, unsicher und ängstlich, wollte das Haus nicht verlassen. Ich habe sie immer wieder ermuntert, bis sie sich eines Tages entschied, mit ihrem Rollator hinaus in die Sonne zu gehen." Inzwischen nimmt die 75-Jährige regelmäßig eine Mitbewohnerin in den Garten und angrenzenden Park oder in die Cafeteria mit und kümmert sich einfühlsam um diese. Mit dem Handy ist sie im regelmäßigen Austausch mit ihrer Schwester. "Wenn sie etwas nicht versteht, fragt sie uns immer wieder, wie das mit dem Gerät geht." Auch bei der einen oder anderen Veranstaltung ist die kommunikative Münchnerin mit dabei. Die gelernte kaufmännische Angestellte war froh, in ihrem Berufsleben nicht im Büro arbeiten zu müssen: "Mir hat die Arbeit mit Kunden in einem Schuhgeschäft viel Freude gemacht. Danach bin ich zur Rezeption bei Bertelsmann gekommen, wo ich bis zur Rente blieb", erinnert sich Gertraud Oswald. Wenn ihr Sohn mit seiner Frau und ihrem Enkel kommt, freut sie sich ganz besonders. Nevena Aleksic und ihr Team ist oft im Austausch mit ihrem Sohn, sagt z. B. Bescheid, wenn es etwas zu besorgen gibt. "Meine Mutter hat nach einem Krankenhausaufenthalt dringend einen Pflegeplatz gebraucht", erzählt Michael Oswald. "Nach einer nicht so guten Erfahrung woanders, sind wir froh, dass sie sich im Haus in der Effnerstraße sehr wohl fühlt. Die Pflegekräfte machen es möglich, dass sie unter Menschen kommt und nicht allein und zu weit spazieren geht. Wir fühlen uns gut informiert, aber auch unsere Wünsche werden immer umgesetzt. Wenn meine Mutter sich mal nicht meldet, machen wir uns keine Sorgen, sondern wissen, dass sie gerade gut beschäftigt ist."

Die Betreuungskraft Gabi Berg unterstützt das Primary-Nursing-Team mit abwechslungsreichen und fördernden Aktivitäten: „Frau Oswald macht gerne bei der Sitzgymnastik mit, ist aber auch häufig in der Backgruppe dabei.“

Entwicklungsperspektiven für Pflegekräfte

"Durch unsere intensive Zusammenarbeit sehe ich auch, wie sich meine Teamkolleg:innen entwickeln und kann sie gezielt fördern", erzählt Nevena Aleksic. So ist Silvana Jonuzi, die Gertraud Oswald früher als Associate Nurse betreute, inzwischen selbst Primary Nurse in der benachbarten Wohngruppe, die sich mit der von Gertraud Oswald die Wohnküche teilt. Sie kam 2021 zur MÜNCHENSTIFT, wurde von Nevena Aleksic eingearbeitet und bekam ihre Ausbildung als Krankenschwester aus ihrem Heimatland anerkannt. "Das ging sehr schnell, weil mir das ganze Team sehr geholfen hat", freut sich Silvana Jonuzi.

Auch Nevena Aleksic, die seit 2014 im gerontopsychiatrischen Bereich des Hauses an der Effnerstraße arbeitet, konnte sich weiterentwickeln. Sie brachte sieben Jahre Führungserfahrung als Wohnbereichsleitung mit, bevor sie sich zur Primary Nurse weiterbildete und strebt nun die Position der Wohnbereichsleitung an. "Unsere Teams können sich kontinuierlich weiterbilden und werden intensiv unterstützt. Auch unsere Pflegehelfer:innen, die Assistant Nurses, nehmen daran teil und versuchen, ihr Wissen in der Wohngruppe anzuwenden". Viele der Mitarbeiter:innen sind sehr motiviert, freut sich Nevena Aleksic, sie lassen sich immer wieder etwas einfallen, sei es zu Weihnachten oder zu einzelnen Aktionen, um die Bewohner:innen zu aktivieren und ihnen eine Freude zu machen. Zuletzt haben sie die Angehörigen gebeten, ihre Lieblingsstücke mitzubringen, und die Mitbringsel mit persönlichen Statements zu Bildern zusammengestellt und gerahmt, die wie ein Fotobuch zu lesen sind. Wenn Gertraud Oswald in ihrem Zimmer auf ihr persönliches Erinnerungsfoto schaut, denkt sie an ihr schönes Strickhobby zurück.

"In unserem Team, das tagtäglich zusammenkommt, geht keine Information verloren. Nicht nur in den Teambesprechungen werden Gewohnheiten und Kleinigkeiten aus dem Alltag dokumentiert und weitergegeben", erzählt Nevena Aleksic (1. v. links)

Text: MÜNCHENSTIFT Magazin, Heft Nr. 107 - März 2024
Fotos: Marcus Schlaf