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Wege aus der Einsamkeit

01. Juni 2021

Michaela May engagiert sich bei den 'Telefon-Engeln', um älteren Menschen aus ihrer Isolation herauszuhelfen. Ihr eigenes Lebenselixier ist die Schauspielerei.  

Wie kam es, dass Sie sich beim Retla-Verein gegen die Einsamkeit älterer Menschen einsetzen?

Ich wurde angefragt von den zwei Initiatorinnen, die zuvor die Sternstunden betreut hatten. Jetzt selbst in Rente haben sie festgestellt, dass auch Seniorinnen und Senioren dringend Hilfe benötigen. Ich habe zunächst gezögert mitzumachen, weil ich mich bereits beim Mukoviszidose e.V., der Welthungerhilfe und den SOS-Kinderdörfern stark engagiere. Elmar Wepper konnte mich aber von dem neuen Projekt überzeugen und jetzt sind wir beide Schirmherren für Retla e.V. Das Projekt passt auch, da ich schließlich selbst in das Alter gekommen bin. Einsamkeit im Alter ist ein großes gesellschaftliches Thema. Ich habe in dem Seniorenstift, in dem meine Mutter lebte, gesehen, dass trotz gut geführter Pflegeeinrichtung viele Menschen sehr einsam sind. Das sieht man auch bei denen, die sich zu Hause noch selbst versorgen können, denn brechen die alten Kontakte weg, droht die Vereinsamung und vielen fehlt der Mut und die Lebensenergie, neue Kontakte zu knüpfen.

Um was geht es dabei konkret?

Im Januar 2020 haben Elmar Wepper und ich uns zum ersten Mal mit dem Verein getroffen. Es ging zunächst darum, vor Ort zu helfen, mit Rikscha-Fahrten, Konzerten und auch darum, Sponsoren für die Projekte zu finden. Dann kam Corona. Auf einmal waren keine persönlichen, sondern nur noch telefonische Kontakte möglich. Im März startete die Aktion Telefon-Engel, bei der sich Menschen unter einer Telefonnummer melden können, um zu reden. Es haben sich unglaublich viele Helferinnen und Helfer gemeldet und die Aktion läuft inzwischen deutschlandweit. Rentnerinnen und Rentner sind dabei, aber auch Jüngere, die während Corona Kapazitäten frei haben, um zu unterstützen. Unser Ziel ist, dass die Kontakte zwischen den Menschen längerfristig halten und persönliche Treffen nach Corona stattfinden. Deshalb versuchen wir Menschen mit ähnlichen Interessen etwa zum Vorlesen, Spazierengehen, Kaffeetrinken oder Kartenspielen zusammenzubringen.

Wie unterstützen Sie persönlich das Projekt?

Neben der Sponsorensuche mache ich Werbung für die Telefon-Engel, damit einsame Menschen von der Aktion erfahren und davon profitieren können, z.B. im Frühstücksfernsehen oder in Talkrunden. Viele Ältere sind über das Internet nur schwer erreichbar, besser ist da das Medium Fernsehen. Außerdem sind Elmar Wepper und ich jeweils eine Stunde pro Woche am Telefon aktiv. Viele Menschen sind es gar nicht mehr gewohnt zu reden, für die Telefonate braucht es daher viel Zeit und Feingefühl, um zu verstehen, was der andere jetzt braucht.

Welche sind die häufigsten Anliegen und Themen?

Es sind unterschiedliche Themen. Mal erzählt uns jemand, dass ein Pfleger zwar dreimal am Tag zur Pflege kommt, aber keine Zeit für ein persönliches Gespräch bleibt. Jemand anderes erzählt, dass die Leute seines Literaturkreises alle verstorben sind oder der Schachpartner inzwischen fehlt. Andere würden gerne mal wieder Musik hören. Es gibt auch Menschen, die sich melden, weil sie Hunger haben und um Hilfe bitten, damit sie etwas zu essen bekommen. Es gab auch mal die Situation, dass jemand um Hilfe bat, weil die Badewanne übergelaufen war. In solchen Fällen und bei psychischen oder medizinischen Problemen leiten wir in fachspezifische Hände weiter. Es geht uns vor allem darum, den Menschen Freude zu machen und sie aus ihrem Alltag herauszuholen, im Augenblick findet das durch telefonische Gespräche statt.

Was hat Sie besonders berührt?

Oft ist ein Mensch am Anfang schwer zu verstehen, es ist dann sehr berührend, wenn man nachfragt und allmählich herausbekommt, dass das Gegenüber sehr einsam ist, der Lebenspartner oder der Nachbar verstorben ist, die Familie weit weggezogen ist. Es berührt sehr zu hören, wie ein einmal sehr buntes Leben durch Verluste vereinsamt und eine Scheu da ist, neue Kontakte zu knüpfen. Vor allem die Dankbarkeit ist sehr groß. Einmal bat mich eine Frau um ein Autogramm und schickte mir danach ein Foto von der Stelle, an der sie es hingehängt hat.

Wie gelingt ein erfülltes Altern?

Wichtig ist es, sich nicht abzuschotten und zu meinen, Neues sei nur noch für junge Menschen, sondern neugierig und offen zu bleiben. Man muss nicht alles gut finden, es aber auch nicht ablehnen.  Meine Mutter hat sich noch mit 90 Jahren einen Computer gekauft, um SMS und Bilder verschicken und erhalten zu können, z. B. von den Enkeln oder von mir. Sie hat auch ihre Hobbies weiter gepflegt, hat gemalt und modelliert, Gedichte geschrieben, bis ihre Augen mit 95 Jahren nicht mehr mitmachten.  

In dem Film So einfach stirbt man nicht haben Sie sich mit Thema Sterben und dem Verhältnis der Generationen beschäftigt. Um was ging es?

Ich spiele die Frau eines Mannes, der im Sterben liegt. Seine drei Töchter denken nur an die Erbschaft, die zu erwarten ist. Im Krankenhaus erfährt er dann von seiner Frau, dass eine ihrer Töchter nicht von ihm ist. Doch dann stirbt er doch nicht, sucht sich eine Geliebte und kauft einen Olivenhain, um die Natur zu erhalten. Er beschließt, das Leben zu genießen und zeigt der Familie, dass sie von ihm viel mehr als Geld mitbekommen kann.

Hat sich die Situation für ältere Schauspielerinnen gebessert?

Ja, dieser Wandel kam aus Amerika. In den Rollen der 1980er und 90er Jahren waren Großmütter alle um die 40. Dann erfolgte eine Wende mit Schauspielerinnen wie Meryl Streep, Helen Mirren und Judi Dench, die zeigen, dass es für das reife Alter immer mehr tiefgründige Rollen gibt. Auch Liebesgeschichten älterer Menschen wurden verfilmt. Es entwickelte sich ein Interesse dafür, wie intensiv diese tief gelebten Leben sind. Inzwischen werden auch bei uns Rollen für ältere Schauspielerinnen und Schauspieler entwickelt, die charakterlich interessanter und intensiver sind. Ältere spielen nicht mehr nur Omas und Opas am Rande, sondern zeigen ein großes Spektrum an Erfahrungen und Schicksalen. Es ist wichtig, Ältere nicht auf das Abstellgleis zu stellen, sondern ihr Wissen und ihre Erfahrungen wertzuschätzen und weiterzutragen. Ihr Leben und ihre Erfahrungen sind ein großes Gut, das man nicht wegwerfen sollte. Es ist wichtig anzuregen, dass Ältere z. B. ihre Geschichten aufschreiben.  

Gibt es einen Traum, den Sie sich noch realisieren wollen?

Mein Traum ist es, solange arbeiten zu können, wie ich gesund bin. Mein Beruf ist auch mein Hobby, in dem ich so viele Leben lebe und mit jeder Rolle neue Menschen erkunden darf. Diese Spielfreude hält mich jung.

Die Telefon-Engel erreichen Sie Montag bis Freitag zwischen 10:00 - 18:00 Uhr unter +49 89 18910026. Der Anruf ist für Sie kostenfrei.

Text: MÜNCHENSTIFT Magazin, Heft 96 - Juni 2021
Fotos: Janine Guldener