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Weit mehr als Olympische Disziplin

19. Oktober 2022

Irma Otto nahm an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von 1936 als Synchronschwimmerin teil. Neben Bewegung gehört bis heute auch die Mode zu den Freuden der inzwischen 104-Jährigen.

Irma Otto liebte es schon immer, schwimmen zu gehen. Die Berlinerin zog es an den Wannsee, wo sie sich als 15-Jährige einem Schwimmverein anschloss und jedes Wochenende trainierte. Als 19-Jährige wurde sie als eine der Synchronschwimmerinnen für die Eröffnung der Olympischen Spiele ausgewählt. „Wir haben die Olympischen Ringe dargestellt und Badeanzüge in den Farben der Ringe getragen“, erinnert sich Irma Otto. „Um Kreise zu schwimmen, mussten wir ein Bein anziehen und das andere ausstrecken. Man berührte mit dem ausgetreckten Fuß die Schulter des Vordermanns und musste unter Wasser mit den Händen paddeln.“ Bis zur feierlichen Eröffnung saß die schwierige Choreografie. „Die Spiele haben mir viel Spaß gemacht. Es war ein Erlebnis, die Sportler der anderen Länder, vor allem aus Amerika, bewundern zu können.“ Und noch einen Vorteil bot das Schwimmen: „Ich musste nicht mit der Nazijugend wandern gehen, sondern war für das Schwimmen befreit.“

Irma Otto mit Schwimmsachen vor dem Berliner Olympiastadion, 1936. 

Bereits als 15-Jährige hatte sie bei ihrer Mutter das Schneiderhandwerk gelernt, die beiden teilten sich die Aufgaben – die Mutter kümmerte sich um die Schnitte, die Tochter nähte und beherrschte vor allem die feinen Stepparbeiten. Dadurch konnte sie zu Hause bleiben und hatte mehr Freizeit als andere. Neben dem Schwimmen liebte sie es, bei ihrer Tante im Isergebirge Ski zu fahren. „Dort lernte ich meine Freundin Monika kennen, mit der ich auch oft tanzen ging. Wir besuchten uns, bis wir uns durch den Krieg verloren und erst viel später wiederfanden. Das war die schönste Zeit meines Lebens!“, schwärmt Irma Otto.

Die Bewohner*innen der MÜNCHENSTIFT bringen viele Erlebnisse und Lebenserfahrungen mit. So etwa Irma Otto mit ihrer Teilnahme als Synchronschwimmerin an den Olympischen Spielen 1936.

Mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich größer gewesen wäre

„Mein Leben wäre ganz anders verlaufen, wenn ich größer gewesen wäre“, überlegt die 1,56m große Berlinerin. „Ich hätte gerne Mode präsentiert.“ Das holte sie 2019 bei einer der Modenschau nach, welches das MÜNCHENSTIFT-Haus Heilig Geist jedes Jahr veranstaltet. „Ich war immer schick angezogen, bei der Modenschau ging ich als Audrey Hepburn.“ [Anm. d. Red.: Audrey Hepburn war eine britisch-niederländische Schauspielerin. Sie zählte zu den größten weiblichen Filmstars der 1950er und 1960er Jahre.]

Irma Otto als Audrey Hepburn bei der jährlichen Modenschau im MÜNCHENSTIFT-Haus Heilig Geist, 2019.

Nach Heilig Geist kam sie mit über 100 Jahren nach einer Schulter-OP, zudem verschlechterte sich wegen einer Makula-Erkrankung das Sehen. „Bis dahin kam meine Mutter jeden Samstag zu uns zum großen Frühstück“, erzählt ihre Tochter, die ihr hilft, in Bewegung zu bleiben, und dabei viele Kontakte im Haus entwickelte. Ihre Tage startet Irma Otto mit sanften Bewegungsübungen, die das förderliche Schwimmtraining auf andere Art fortsetzt, erzählt sie: „Laufen und Gehen beanspruchen zu sehr den Körper, das Schwimmen aber ist der beste Sport. Und etwas Disziplin gehört auch dazu. Da müssen wir durch ist bis heute vor allem in schwierigen Zeiten immer mein Motto.“

Text: MÜNCHENSTIFT Magazin, Heft Nr. 100 - Juni 2022
Fotos: MÜNCHENSTIFT, privat